21. bundesweites Vernetzungstreffen ökumenischer Friedensgebetsgruppen in Ottensoos vom 23.09. – 25.09.2016

Die 48 Teilnehmer/innen kamen aus ganz Deutschland:
Mühlheim, Berlin, Dresden, Heroldsberg, Hamburg, Ochsenfurt, Kiel, Würzburg, Cottbus, Nürnberg, Herrenberg, Ulm u. Neu-Ulm, Lemgo, Oberhausen, Bühl, Unterföhring, Münster, Achern, Leipzig, Detmold

Keine Zeit für Frieden?

Das diesjährige Vernetzungstreffen der Friedensgebetsgruppen begann mit einem Friedensgebet am Freitagabend in der Albanuskirche in Reichenschwand. Da alle Teilnehmer im Hotel Dormero in Reichenschwand untergebracht waren, bot sich dies für den ersten Abend an.
Am Samstagvormittag startete das Programm mit einem Vortrag von Dr. Wolfgang Simon mit dem provokanten Titel „Keine Zeit für Frieden?“

Zuvor hatte Bürgermeister Klaus Falk ein Grußwort gesprochen, in dem er Fontane zitierte: „Es gibt nur ein Mittel sich wohlzufühlen: mit dem Gegebenen zufrieden zu sein.“ Davon ausgehend stellte er die Meinung in den Raum, dass es notwendig sei, dass die westlichen Länder ihre eigenen Ansprüche zurückschrauben müssen, um die anderen nachkommen zu lassen.
Angesichts der immer komplizierter werdenden Weltlage könne man durchaus fragen, was die Arbeit der Friedensgebetsgruppen bringe, aber er sei dankbar für dieses beharrliche Gebet und so überreichte er auch ein Kuvert für die entstandenen Auslagen und wünschte der Gruppe einen regen Erfahrungsaustausch und Zeit, um Kraft zu tanken.

Im anschließenden Vortrag – immer wieder unterbrochen durch Lieder zum Mitsingen – stellte Wolfgang Simon mit einigen Schlaglichtern den Unfrieden der Welt vor die Augen der Teilnehmer und resümierte mit Joachim Gauck: „Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich.“
In einem zweiten Punkt ging es darum, der Frage nachzugehen, was Frieden eigentlich sei. Bedeutet Frieden lediglich, dass die Waffen schweigen? Der jüdische Begriff „Shalom“ beinhaltet ein viel umfassenderes Heil-Sein. Nach Rabbi Juda Loew meint Shalom drei Dinge: den Strom, den Vogel und den Topf. Was meint er mit diesen Bildern?

Dr. Wolfgang Simon
Dr. Wolfgang Simon bei seinem engagierten Vortrag

Ein Strom bildet sich, wenn sich viele Rinnsale vereinen und eine gemeinsame Ausrichtung, ein gemeinsames Ziel haben. Dazu braucht es viel Geduld, da ein Strom sein Bett langsam gräbt, aber darin liegt auch eine gewaltige Kraft.

 

Beim Vogel mag man zunächst an die Freiheit des einzelnen denken, doch der Rabbi meint mit dem Vogel die übergeordneten Bereiche der Obrigkeit, die sozusagen über unseren Köpfen schweben. In Deutschland versteht man Obrigkeit oft als Gegner, aber tatsächlich braucht es Grundstrukturen, die dem Schutz der persönlichen Freiheit dienen.

Der Topf ist wieder einfacher zu verstehen. Er steht für die Beziehungen des Menschen. Früher haben alle Familienmitglieder aus einem Topf gegessen und der Frieden bedarf der funktionierenden Primärbeziehungen.

In einem dritten Punkt wendete sich der Vortragende dem Begriff Zeit zu und erläuterte, dass unser Leben in den Bereichen Beruf, Beziehung, Kommunikation und Alltag gegenüber früher einer gewaltigen Veränderung unterliegt und dass alle Bereiche den gleichen Effekt haben, nämlich die der Beschleunigung. Die Motoren der Beschleunigung sind der Wettbewerb, das Leistungsprinzip und das gängige Zeitverständnis. Wer nicht mehr an eine Ewigkeit glaubt, meint alles in diesem Leben unterbringen zu müssen. Wir leben in einer Zeit des „Steigerungsimperativs“, d.h. es ist scheinbar nie genug.

Doch natürlich nützt es nichts, darüber zu jammern, sondern es gilt vorauszuschauen. Was sind die Kriterien für ein gelingendes Leben und damit auch für Frieden? Wolfgang Simon zitierte hier den Soziologen Hartmut Rosa, der hierfür den Begriff der „Resonanz“ nennt. Damit meint er, dass ein Mensch sich von etwas berührt und bewegt fühlt, so wie etwa Resonanz in einem Fußballstadion entsteht, wenn sich Menschen für diesen Sport begeistern lassen.

Fehlende Resonanz gibt es beispielsweise, wenn sich jemand abgehängt fühlt, weil er die modernen Medien nicht mehr versteht und am Bahnsteig kein Schaffner mehr da ist, der ihm erklärt, wie er eine Fahrkarte lösen kann. Solche – banal erscheinenden – Entfremdungserfahrungen machen unfriedlich und aggressiv. Auch manche politischen Vorgänge, z.B. die Abläufe in der EU erscheinen vielen Menschen undurchschaubar, weil sie ungenügend erklärt werden. Die EU steht auch in einem großen Handlungszwang, eben weil heute alles schnell gehen muss, demokratische Prozesse oft langsam ablaufen. Autokratische Systeme wie etwa China haben da einen scheinbaren Vorteil, weil sie schnell entscheiden können.

Der Vortrag endete mit der Frage, welchen Beitrag der christliche Glaube geben kann, was sozusagen die Resonanz des Glaubens ist. Hierbei grenzte sich der Vortragende gegenüber Darwin ab, dessen Verdienst es ist, die Entstehung der Arten biologisch erklärt zu haben, der aber eindeutig seine Kompetenzen überschritten hat, als er auch für den gesellschaftlichen Bereich den Konkurrenzkampf als bestimmende Grundlage verstand. Demgegenüber ist das jüdisch/ christliche Weltbild ein anderes, das auf Resonanz und Frieden abzielt. Der Konkurrenzkampf ist nicht die Seele der Welt sondern ihr hässliches Gesicht und vom wahren Leben abgefallen.
Das Bebauen und Bewahren, das Kultur schaffen ist der Sinn der Welt und erhält jedem Menschen seine Würde.

Das kurzweilig vorgetragene und sehr anschaulich – auch mit einigen kleinen Filmsequenzen – präsentierte Referat, fand großen Applaus, bevor sich die Teilnehmer nach einer Kaffeepause auf die drei Workshops aufteilten.

Die Leiter der drei sich an den Vortrag anschließenden Workshops: Landrat Armin Kroder, Lena Häberlein und Jürgen Schmidt (v.l.n.r.)
Die Leiter der drei sich an den Vortrag anschließenden Workshops: Landrat Armin Kroder, Lena Häberlein und Jürgen Schmidt (v.l.n.r.)

 


 

Im Workshop mit Landrat Kroder zum Thema „Was braucht es für ein friedliches Miteinander im Landkreis?“ war es das Bestreben des Landrats mit den Teilnehmern ins Gespräch zu kommen, nicht darum, ein Referat zu halten. Schnell waren die Teilnehmer bei der Frage, wie im Landkreis die Integration der Flüchtlinge gelingt. Im Landkreis gibt es momentan nicht ganz 1500 Asylbewerber, davon sind 400 anerkannt und die bevorstehende große Herausforderung wird es sein, für diese Menschen Wohnraum zu finden bzw. zu schaffen. Die Erfahrung des Landrates ist es, dass Vorurteile gegenüber Flüchtlingen sich in der Regel in Luft auflösen, wenn man die Menschen kennenlernt. Er ist sehr dankbar, dass sich die Sozialverbände sehr intensiv vor allem um die 150 minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge kümmern und dass eine große Anzahl von Ehrenamtlichen die Asylbewerber in ihrer schwierigen Situation begleiten. Für das Zusammenspiel der Verwaltung mit den Ehrenamtlichen wurden regelmäßige Treffen ins Leben gerufen, um – durchaus vorhandene – gegenseitige Vorurteile abzubauen und möglichst effektiv zusammen zu arbeiten.

Diskussionsrunde mit Landrat Armin Kroder
Diskussionsrunde mit Landrat
Armin Kroder

Auf die Frage, ob er der Meinung wäre, die Stimmung in Deutschland würde kippen, sagte er, dass er nach wie vor große Hilfsbereitschaft wahrnehme und dass er die große Hoffnung habe, diese Aufgabe gut zu lösen, auch wenn es kein Hundertmeterlauf wäre, sondern ein Marathonlauf, bei dem man nicht schon nach fünf Kilometern schlapp machen dürfe. Insgesamt konnte er glaubhaft vermitteln, dass ihn ein wirklich christliches Menschenbild leitet, welches in jedem Flüchtling den notleidenden Menschen sieht und dass er das Bestreben hat, die heimische Bevölkerung durch Kommunikation einzubinden!


Lena Häberlein stellte in ihrem Workshop „Schafft Bildung Frieden?“ den Verein „Studieren ohne Grenzen“ vor, bei dem sie auch selbst aktives Mitglied ist. Mit den Teilnehmer/innen diskutierte sie die Ideen und deren Umsetzung.

Student/innen engagieren sich für benachteiligte Studienwillige in Krisen-Ländern
Student/innen engagieren sich für benachteiligte Studienwillige in Krisen-Ländern

„Studieren ohne Grenzen“ engagiert sich für Hochschulbildung in Konfliktgebieten. Der Verein vergibt Stipendien an bedürftige Studentinnen und Studenten, trägt zur Verbesserung der Bildungsinfrastruktur bei und sensibilisiert die deutsche Öffentlichkeit für die Lage in den Zielregionen – derzeit sind das Afghanistan, die Demokratische Republik Kongo, Sri Lanka und Tschetschenien.
Die Idee: Nach dem Ende der Kriegshandlungen haben die betroffenen Regionen oft mit instabilen politischen Verhältnissen und einer schwierigen Sicherheitslage zu kämpfen. „Studieren ohne Grenzen“ glaubt, dass gerade diese Regionen junge, qualifizierte Kräfte brauchen, die ihre Heimat friedensschaffend und nachhaltig selbst gestalten oder repressive Systeme von innen heraus verändern können.

Die zahlreichen jungen und motivierten Menschen mit innovativen Ideen wissen genau, woran es ihrer Region mangelt. Allerdings fehlt es oft an Bildungsmöglichkeiten und so wird diesen jungen Menschen die Chance auf den Erwerb von Qualifikationen versagt. Deshalb gibt „Studieren Ohne Grenzen“ bedürftigen jungen Menschen eine Chance auf Hochschulbildung und fördert die Bildungsinfrastruktur vor Ort.

Mit dieser Arbeit sollen junge Menschen dabei unterstützt werden, selbstständig zum Wiederaufbau und zur Versöhnung in ihrer Heimat beizutragen.
Die Kollekte beim Sonntagsgottesdienst kam dieser sinnvollen Arbeit zugute.


Vortragen der Ergebnisse im Plenum
Vortragen der Ergebnisse im Plenum

Beim Workshop „Frieden und Globalisierung“, geleitet von Jürgen Schmidt, konnte dieser Erfahrungen aus seinem langen Berufsleben bei einem sogenannten „Global Player“ einbringen.
Zunächst ging es auch darum zu erfragen, was Frieden eigentlich sei. Die Teilnehmer waren sich einig, dass zum Frieden unbedingt auch die Befriedigung der Grundbedürfnisse, Meinungsfreiheit und Menschenrechte gehören. Im Anschluss wurden Argumente für oder gegen die Globalisierung gesammelt, wobei der Referent beim Mitschreiben der Nachteile kaum Schritt halten konnte. Er betonte jedoch auch, dass bei aller berechtigten Kritik die positiven Aspekte nicht unter den Tisch fallen dürfen wie der freie Handel mit Waren oder die weltweit mögliche Kommunikation. Negativ ist natürlich eine zunehmende Vereinheitlichung, welcher die kulturelle Vielfalt und deren Reichtum zunehmend zum Opfer fällt. Besondere Bauchschmerzen bereitete den Teilnehmern die steigende Macht großer Konzerne, deren Handeln oft nicht demokratisch legitimiert ist. Des Weiteren wurden auch Vorschläge zur Abhilfe gesammelt, manche davon nur schwer umzusetzen, aber auch nach Meinung des Referenten muss die Politik in Zukunft die Aufgabe anpacken, zu erreichen, dass in Zukunft die Steuern in dem Land gezahlt werden, in dem auch die Wertschöpfung stattfindet und eine Steuerflucht unterbunden wird. Außerdem sollte lokale Produktion gefördert werden und der Staat die Grundversorgung, z.B. mit Wasser nicht aus der Hand geben.

 


Am Samstagnachmittag konnten die Teilnehmer/innen dann Ottensoos kennenlernen und zwar wechselten sich drei Gruppen bei Führungen in der Kirche, in der Ehem. Synagoge und im Kulturbahnhof ab.

Der informationsreiche Tag klang mit einer Aufführung des Marionettentheaters aus.


Das Treffen endete am Sonntag mit einem Festgottesdienst unter Beteiligung des Posaunenchorsund und des Frauensingkreises. Pfr. Kessel bündelte das Erlebte mit einer Predigt zum Vers aus dem Römerbrief: „ Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist.“ Nach dem Gottesdienst war noch Zeit für eine
Rückmelderunde mit vielen positiven Stimmen:

Es war wichtig so viele Gleichgesinnte zu treffen: berührend, belebend und ermutigend! Sonst fühle ich mich oft vereinzelt. Das Treffen hat mich gestärkt! 

Wir grüßen Ottensoos von unseren Pfarrern daheim und auch von allen anderen, die aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen nicht kommen 

Ich habe noch nie ein Dorf erlebt, das so viel Kultur zu bieten hat!
Nächstes Jahr treffen wir uns in Dresden, aber wir werden Ottensoos nicht toppen können.

 

Vernetzungstreffen Friedensgebet
Vernetzungstreffen Friedensgebet

Wir danken dem Organisationsteam für die tolle Vorbereitung dieses Wochenendes. Es war einfach überragend!
(Die Kirchengemeinde Ottensoos schließt sich diesem Dank an!)