Notfallseelsorge
Was bedeutet Notfallseelsorge?
Notfallseelsorger/innen kümmern sich um Menschen in einer aktuellen Krisensituation, um Opfer, Hinterbliebene, Angehörige, Vermissende…
Der Dienst der Notfallseelsorge wird in ökumenischer Zusammenarbeit geleistet und sowohl Haupt- als auch Ehrenamtliche engagieren sich bei diesem Dienst. Außerdem arbeiten sie mit Kriseninterventionsteams und allen Hilfsorganisationen zusammen, so dass die „psychosoziale Notfallversorgung“ (PSNV) an jedem Tag und zu jeder Uhrzeit sichergestellt ist.
Die Notfallseelsorger/innen werden in der Regel von den Rettungsorganisationen alarmiert und um Unterstützung gebeten. Dies geschieht in der Regel bei Verkehrsunfällen oder wenn ein geliebter Mensch verstorben ist. Die Notfallseelsorger/innen bleiben so lange bei den Betroffenen, bis diese entweder selbst wieder stabilisiert sind oder bis Verwandte oder Freunde eingetroffen sind, welche sich um die betroffene Person kümmern können. Die vordringlichste Aufgabe der Notfallseelsorger/innen ist es zunächst, mit den Betroffenen den Schrecken auszuhalten und sie in ihrer Not nicht alleine zu lassen. Die Einsätze dauern in der Regel zwischen zwei und vier Stunden und auf Wunsch werden weitere Kontakte zu Hilfsdiensten und Gemeinden vermittelt.
Grundlegung
Biblisch begründet sich dieser Dienst aus den Versen im Matthäusevangelium: „Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Denn was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Mt.25, 36+40) Somit ist die Notfallseelsorge ein Baustein in den vielfältigen diakonischen und seelsorgerlichen Aufgaben christlichen Handelns. Notfallseelsorger/innen fühlen sich in dieser Arbeit von Gott getragen und wissen, dass Gott Menschen in schrecklichen Situationen nicht verlässt und dass Gott ihnen in ihrem Gegenüber begegnen will.
Geschichtliche Entwicklung
Von Anfang an war den Christen ihre besondere Verantwortung gegenüber kranken und schwachen Menschen bewusst. Vor allem in Klöstern wurde diese Aufgabe wahrgenommen. Zur Zeit der Kreuzzüge wurden die Ritter- und Hospitalorden ausgebaut (z.B. Johanniterorden in Jerusalem). Sehr berühmt war auch das Kloster am St. Gotthard-Pass, wo die legendären Bernhardiner-Hunde, benannt nach dem Heiligen Bernhard, Vermisste und Verirrte suchten. Nach diesen großen christlichen Wanderbewegungen verlagerte sich der Dienst an den Kranken mehr auf stationäre Einrichtungen oder verschwand sogar ganz.
Wiederbelebt wurde die Notwendigkeit der Ersten Hilfe durch Henri Dunant, den Begründer des Roten Kreuzes. Allerdings wurde die präklinische Versorgung der Patienten weitgehend durch militärisches oder paramilitärisches Personal übernommen. Die Versorgung der Patienten in den Kliniken erfolgte dann vornehmlich durch Ordensleute.
Mitte des 20. Jahrhunderts versuchten der Johanniter-Orden (evangelisch) und der Malteser-Orden (katholisch) an die große Geschichte ihrer Orden anzuknüpfen und gründeten die Johanniter-Unfall-Hilfe bzw. den Malteser-Hilfsdienst, ohne jedoch die Chance einer seelsorgerlichen Betreuung der Betroffenen zu nutzen. Auch die vereinzelten Feuerwehrkuraten (Geistliche im Feuerwehrdienst) konnten diese Tatsache nicht wirklich verändern.
Obwohl es in der Kirche viele seelsorgerliche Bereiche gab (Krankenhaus-, Gemeinde-, Militär- und Polizeiseelsorge) fehlte erstaunlicherweise lange die Seelsorge für den Bereich von Notfällen.
Erste Gedanken in diese Richtung hatte die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) nach der Flutkatastrophe in Hamburg 1962, doch da der Rettungsdienst Ländersache ist, versandete diese Initiative.
Erst 1989 wurde ein neuer Versuch gestartet und zwar von der Basis her, von Pfarrern, die selbst Mitglieder bei Rettungsorganisationen waren. Sie bemerkten den Mangel an seelsorgerlicher Betreuung und gründeten 1990 die ökumenische „Arbeitsgemeinschaft Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst“. Erfahrungen wurden ausgetauscht, der Begriff „Notfallseelsorge“ erfunden, Kontakte zu anderen Institutionen hergestellt und Fortbildungen organisiert. Eine beständige Weiterentwicklung hat dazu geführt, dass es seit 2012 „Gemeinsame Qualitätsstandards und Leitlinien zu Maßnahmen der Psychosozialen Notfallversorgung für Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene, Zeugen und/ oder Vermissende im Bereich der Psychosozialen Akuthilfe“ gibt.
Ein weiteres Augenmerk wurde auf die besondere Situation von betroffenen Kindern und Jugendlichen gerichtet, um diesen in ihrer eigenen Befindlichkeit gerecht zu werden.
Notfallseelsorger gesucht
Der Bereich der Notfallseelsorge sucht auch immer wieder neue Mitarbeiter. Dem Einsatz geht eine Ausbildung nach bundesweit anerkanntem Standard voraus. Die Einsätze erfolgen in der Regel in Zweier-Teams, es gibt regelmäßige Fortbildungen und Teamsupervisionen zur Aufarbeitung des Erlebten. Vor der Ausbildung erfolgt die Zustimmung der kirchlichen Verantwortlichen, z.B. der Ortsgemeinde und im Anschluss an Ausbildung und Praktikum die Beauftragung durch den Dekan.
Quelle: www.notfallseelsorge-bayern.de
Interview mit Pfarrer Kessel zu seinem Dienst als Notfallseelsorger
Was waren Ihre Beweggründe, Notfallseelsorger zu werden?
Es ist mir ein Anliegen, Menschen in Notsituationen zu helfen, in einer Situation, in der es erst einmal nicht klar ist, wie es weitergehen soll. Es sind Momente des Schreckens und des Schocks, in denen es gut ist, wenn jemand da ist.
Haben Sie die Ausbildung zum Notfallseelsorger als schwierig und zeitaufwändig empfunden?
Durch meinen Beruf als Pfarrer sind natürlich die Grundlagen der Seelsorge vorhanden, worauf die Behandlung der speziellen Fälle der Notfallseelsorge aufbauen kann. Ich finde, dass die Lehrgänge und Fortbildungen machbar und nicht zu schwierig waren. Es gibt auch laufend immer wieder Fortbildungen, weil das Thema doch sehr weit ist, weil jeder Fall für sich sehr individuell und unterschiedlich ist.
Waren Sie vor Ihrem ersten Einsatz aufgeregt?
Ja, und ich bin ehrlich gesagt jedes Mal etwas aufgeregt, weil ich nicht weiß, was mich erwartet.
Welchen Einsatz haben Sie als besonders schwierig bzw. belastend in Erinnerung?
Das war der plötzliche Unfalltod eines Familienvaters mittleren Alters, der jugendliche Kinder hatte und wo die Familie von einem Moment zum nächsten mit dieser schlimmen Situation konfrontiert wurde.
Wie verarbeiten Sie die Bilder des Geschehenen?
Nach jedem Einsatz wird ein Protokoll angefertigt und das Niederschreiben ist schon ein erster Schritt der Verarbeitung. Die Gedanken begleiten mich dann natürlich länger und bisweilen suche ich auch Gespräche, bei denen ich anonymisiert über das Geschehene sprechen kann.
Haben Sie auch schöne oder beglückende Momente erlebt?
Ja schon, wenn ich merke, dass es gut ist, dass ich gekommen bin und in einer unumkehrbaren Extremsituation Hilfe und Stütze sein kann.
Haben Sie auch erlebt, dass Rettungskräfte oder Betroffene Ihnen ablehnend gegenübertraten, weil Sie die Institution Kirche vertreten?
Einmal hieß es schon beim Notruf, dass kein Pfarrer kommen soll, aber in der Regel spielt das keine Rolle. Ich stelle mich natürlich vor, dass ich Pfarrer aus Ottensoos bin und die meisten Menschen reagieren weder positiv noch negativ. Manche sprechen auch von ihrem persönlichen Glauben, aber das Wesentliche für alle ist, dass jemand für sie da ist.
Wie häufig werden Sie im Durchschnitt zu Notfällen gerufen?
Ca. einmal in der Woche. Anfangs war das weniger, aber der Dienst hat sich mittlerweile etabliert und wird von allen Seiten als hilfreich angesehen.
Ist die Anzahl der ausgebildeten Notfallseelsorger ausreichend?
Für unseren Landkreis ja, da wir mit dem KiT (Kriseninterventionsteam) des Landkreises kooperieren. Wir sind auch ökumenisch organisiert und die Dekanate Altdorf und Hersbruck sind beide beteiligt.
Somit können wir bei Großeinsätzen auch 10 -15 Personen aktivieren oder auch benachbarte Systeme um Hilfe bitten. Das war z. B. beim Flugunfall in Lillinghof der Fall oder würde bei einem Amoklauf nötig sein.
Hat dieser Dienst auch Einfluss auf die Rettungskräfte?
Einmal im Jahr gibt es im Dekanat einen Blaulichtgottesdienst für Rettungskräfte, der immer mehr Zuspruch findet. Die Rettungskräfte müssen sehr oft belastende Erlebnisse verarbeiten und in diesem Gottesdienst ist hierfür Raum und alle können sich als Gemeinschaft erleben. Für die Einsatzkräfte gibt es darüber hinaus auch eine eigene psychosoziale Notfallversorgung.
Vielen Dank für das Interview!
Bildnachweis: Kessel