Der Marienaltar in der Kirche St. Veit

In seinem Buch über Ottensoos nennt Martin Schieber die beiden Seitenaltäre der Ottensooser Veitskirche „Höhepunkte der sakralen Kunst im Nürnberger Land“. Dieser Beitrag lehnt sich eng an Martin Schiebers Ausführungen an und möchte den Marienaltar und sein Bildprogramm näher vorstellen, welches wohl auch vielen Ottensoosern nicht in seiner Gänze bekannt sein dürfte. Natürlich sind die geschnitzten Holzreliefs des geöffneten Altars mit seinen wunderbaren Darstellungen der Weihnachtsgeschichte geläufig und wurden als Postkartenmotive ausgewählt. Doch wie steht es mit dem Altar in geschlossenem Zustand? Diese Fragen sollen beantwortet werden.

Thema des Altars ist Maria, der im Jahr 431 beim Konzil in Ephesus der Titel „Gottesmutter“ zuerkannt wurde. Steht man vor dem Altar, wird einem schnell klar, dass er wohl nicht mehr komplett ist, denn auf der rechten Seite gibt es sowohl einen Standflügel als auch einen Klappflügel, während es links nur noch den Klappflügel gibt, der durch die Positionierung des Altars im Eck unter der Empore auch nicht mehr komplett geöffnet werden kann.

Diesen Platz erhielt der Altar 1733 im nördlichen Seitenschiff, als die seitliche Empore eingezogen wurde. Bevor es die Empore gab, stand an dieser Stelle das Sakramentshäuschen, das nun wegen seiner Höhe nicht mehr hinpasste. Seitenaltar und Sakramentshäuschen tauschten den Platz, aber der Standflügel musste wegen dieser ungünstigen Eckposition weichen.

Obwohl die Ottensooser im Laufe der Reformation Gott sei Dank keine Bilderstürmer waren und die teuer bezahlten Kunstschätze überleben ließen, haben sie doch offensichtlich diesen Seitenflügel nicht für wert erachtet, ihn aufzubewahren.

Der Altar zeigt den Zyklus des gesamten Marienlebens und die Tatsache, dass dabei die Ankündigung der Geburt Jesu durch den Engel fehlt – diese ganz zentrale Geschichte der Auserwählung Marias – ist ein weiterer Hinweis auf das Fehlen des linken Standflügels.

Sowohl die Holzreliefs als auch die Malereien sind hochwertige Arbeiten aus der Zeit zwischen 1510 und 1520. Der Name des Künstlers ist nicht bekannt und es gibt verschiedene Meinungen, wem die Arbeiten zuzuschreiben sind. Alles weist jedoch auf einen Künstler aus der Werkstatt Albrecht Dürers hin.

In dieses Bildprogramm zum Leben Marias passt allerdings nicht die Predella unterhalb des Mittelschreins, da sie eine figürliche Darstellung des letzten Abendmahls an Gründonnerstag zeigt, eine Szene die in einem Marienzyklus normalerweise nicht vertreten ist.

Der Marienzyklus

  1. Marienaltar

    Die Begegnung Joachims und Annas, der Eltern Marias, an der Goldenen Pforte der Stadtmauer Jerusalems. Nach der Legende soll Anna in diesem Moment Maria empfangen haben.

  2. Geburt Mariens
  3. Die heilige Anna im Wochenbett
  4. Der erste Tempelgang Marias – sie ist dabei weiter in den Tempel vorgedrungen, als es Frauen zu der Zeit eigentlich erlaubt war.
  5. fehlend: Verkündigung der Geburt Jesu an Maria durch den Engel: sie wird den lang ersehnten Messias zur Welt bringen. (unabdingbare Szene für einen Marienzyklus)
  6. fehlend: möglicherweise Pfingstdarstellung oder Marienkrönung?
  7. Besuch der schwangeren Maria bei ihrer ebenfalls
  8. schwangeren Base Elisabeth, der Mutter Johannes des Täufers.
  9. Geburt Jesu im Stall in Bethlehem
  10. Anbetung Jesu durch die drei Weisen aus dem Morgenland
  11. Beschneidung Jesu
  12. Darstellung des Kindes Jesus im Tempel, dabei erkennt der greise Simeon, dass dieses Kind der Messias ist, das „Licht zur Erleuchtung der Heiden“
  13. Großer zeitlicher Sprung: Maria im Sterbebett, umringt von den Aposteln
  14. Nach Martin Schieber kann die große Marienfigur in der Mitte als Abschluss und Höhepunkt des Zyklus gesehen werden, dargestellt als die apokalyptische Frau der Offenbarung.

 

Die Mariengeschichten rund um Weihnachten sind wohl den meisten geläufig. Nachfolgend sollen die unbekannteren Geschichten von Maria erklärt werden.

Maria Empfängnis

Maria Empfängnis

Joachim und seine Frau Anna sind schon alt und haben keine Kinder. Joachim will im Tempel ein Opfer darbringen, wird aber wegen der Kinderlosigkeit vom Hohepriester zurückgewiesen. Er geht darauf in die Wüste, sucht die Einsamkeit und fastet 40 Tage. Anna ist verzweifelt und beklagt im Gebet ihre Kinderlosigkeit. Da erscheint ein Engel und verkündet ihr die Geburt einer Tochter. Auch Joachim wird in der Wüste von einem Engel die frohe Botschaft überbracht. Er eilt nach Hause und begegnet seiner Frau an der Goldenen Pforte, einem der Stadttore Jerusalems. Beide umarmen sich. Dieser Augenblick der Umarmung wird häufig als der Moment der unbefleckten Empfängnis Mariens angesehen.

Geburt Mariens/hl. Anna im Wochenbett

Bilder zur Geburt Mariens sind ein häufiges Motiv als Einzeldarstellung, vor allem aber Teil von Zyklen zum Marienleben, zum Leben der hl. Anna, der Mutter Marias, oder zur Kindheits- und Jugendgeschichte Jesu. Gemälde und Skulpturen der Geburt Mariens geben oft Aufschluss über Geburtshilfe und Gebräuche rund um Geburt und Wochenbett der jeweiligen Entstehungszeit der Kunstwerke, so auch hier in der Ottensooser Abbildung. Das Fest der Geburt Marias wird in der katholischen Kirche am 8. September gefeiert. Bekannt ist auch die Bauernregel: „Maria Geburt – Schwalben geht’s furt!“

Geburt Mariens/hl. Anna im Wochenbett
Maria Empfängnis

Tempelgang Mariens

Nach dem Protevangelium des Jakobus (eine Schrift, die nicht in den Kanon der Bibel aufgenommen wurde) wurde Maria mit drei Jahren von ihren Eltern Anna und Joachim in den Tempel nach Jerusalem gebracht. Denn nach langer Kinderlosigkeit hatten sie gelobt, ihr erstes Kind Gott zum Opfer zu bringen. Maria soll die hohen Tempelstufen alleine bestiegen haben und sich Gott freudig zum Opfer dargebracht haben. Zacharias, der spätere Vater von Johannes dem Täufer, nahm sie in Empfang. Maria blieb bis zu ihrem 12. Lebensjahr im Tempel und studierte hier mit anderen Tempeljungfrauen die Schriften, dann musste sie, zur Frau geworden, den Tempel wegen der jüdischen Reinheitsvorschriften verlassen. Josef – damals nach der Überlieferung schon 80 Jahre alt – wurde von den Priestern als ihr Beschützer (nach anderen Berichten als ihr Verlobter) auserwählt.

Quelle: Ökumenisches Heiligenlexikon

Tod Mariens

Marias letzte Stunde ist gekommen. Die zwölf Apostel umgeben und trösten sie. In ihren Gesichtern spiegelt sich der Ernst der Stunde. Jetzt heißt es Abschied nehmen von einem lieben Menschen. Johannes hält die Kerze fest, die er Maria in die Hand gesteckt hat. Sie spürt, dass Christus, das Licht der Welt, ihr nahe ist in diesem Augenblick. Zwei Apostel lesen Worte aus den Schriften, andere beten. Philippus hält das Kreuzzeichen. Es ist aufgerichtet und ein Zeichen der Hoffnung über dieses Leben hinaus. Wer so stirbt, der stirbt wohl. 

Quelle: Kurzkirchenführer St. Veit

Tod Mariens
Mittelschrein Marienaltar

Der Mittelschrein

Die große Marienfigur im Mittelschrein des Altares kann als Abschluss und Höhepunkt des gesamten Marienzyklus gesehen werden. Maria ist hier dargestellt, wie es in der Apokalypse, im Buch der Offenbarung in Kapitel 12, 1 beschrieben wird: „Und es erschien ein großes Zeichen im Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.“ Oft wird dieser Vers so ausgelegt, dass damit Maria gemeint sei.

Sehr deutlich sind die Sonnenstrahlen, rechts und links von ihrem Körper und auch der Sichelmond zu ihren Füßen zu erkennen. Die Sterne fehlen, dafür wird die Krone von zwei Engeln gehalten, ebenso die Mondsichel. Während in Vers 2 beschrieben wird, dass die Frau in den Wehen schreit und Qual bei der Geburt leidet, hält Maria ihren Sohn Jesus schon am Arm, dazu ein Zepter in ihrer rechten Hand.

Das Motiv der Mondsichelmadonna war im Mittelalter ungemein beliebt und findet sich auf Säulen, Altären, Siegeln und Wappen.

In der Mondsichel sieht man oft die Schlange als Sinnbild des Teufels oder wie hier in Ottensoos einen menschlichen Kopf, den man auch als Teufel oder aber als den „alten Adam“ interpretieren kann. Diese Schlange oder dieser Kopf wird von Maria zertreten. Wunderbar kann man hier die Schuhmode der damaligen Epoche erkennen, so trägt Maria einen Schnabelschuh, wie er zur Zeit des Künstlers aktuell war.

Für „evangelische Augen“ mag Maria hier allzu herrschaftlich wirken. Haben wir doch eher die Maria vor Augen, die ihren zwölfjährigen Sohn sucht, sich bei der Hochzeit zu Kana darum sorgt, dass der Wein nicht ausgeht, sich von ihrem Sohn auch wenig schmeichelhafte Worte anhören muss und schließlich unter dem Kreuz unendlich um ihren Sohn leidet; dann allerdings auch bei den ersten Frauen dabei ist, welche die Osterbotschaft hören. Aber dieses Bild, in dem das Böse einfach so zertreten wird, ist ein unglaublich starkes Bild, welches die Hoffnung beflügelt, dass diese Sehnsucht nach Gerechtigkeit einmal erfüllt werden wird.

Mittelschrein Marienaltar

Bildnachweis: Huth, Schieber