Magdalena Dietzfelbinger – die Bilderbuchpfarrfrau

Nachdem es im letzten Schwerpunkt um den Judenpfarrer von Ottensoos ging, soll in dieser Ausgabe seine Ehefrau Magda Dietzfelbinger im Mittelpunkt stehen, über deren Leben die Enkeltochter Erika Geiger einen ausführlichen Aufsatz schrieb.

Sie erinnert sich an eine Großmutter, die nicht schimpfen konnte und der alle Enkel immer ihr Herz aufschlossen. Sie war ein bildungshungriges Mädchen gewesen, in deren Zeit Bildungshunger einem Mädchen nicht zukam und die ihre Enkeltöchter darum beneidete, dass es zwei Generationen später auch für diese selbstverständlich war, studieren zu können. In diesem Zusammenhang erinnert sich die Enkeltochter an den häufigen Ausspruch ihrer Großmutter: „Was hätte ich darum gegeben.“

Kindheit und Jugend

Geboren wurde sie am 31.3.1883 als zweite Tochter der Pfarrerseheleute Bertha und Christian Nicol in Willmars in der Rhön. Auf die beiden Töchter folgten dann noch acht Brüder. Einerseits lebten die Kinder in einem wahren Paradies, doch bei den vielen kleinen Brüdern war Magdas Kindheit auch durch viel Arbeit und Hilfe im Haushalt geprägt.

Zu ihrem 13. Geburtstag bekommt sie von ihrer Großmutter ein Tagebuch geschenkt, dem sie von nun an ihre Sorgen und Wünsche anvertrauen kann. Im Vorwort wird deutlich, dass sie sich immer sorgte, ihre jüngeren Brüder könnten dieses unbefugt lesen, wird einem eventuellen Leser doch angedroht, er würde bei Zuwiderhandlung drei Tage in den Turm geworfen. Außerdem war sie eine leidenschaftliche Leserin und ihr Lieblingsbuch war „Heidi“ von Johanna Spyri.

Die Brüder erhalten selbstverständlich eine Schulbildung in Windsbach und ein Studium, die Mädchen gehen bis zu ihrer Konfirmation mit 13 in die Dorfschule. Bei einem Wettbewerb einer christlichen Zeitschrift schickt sie eine Bildbeschreibung ein, die einen Preis erhält und abgedruckt wird, worüber sie verständlicherweise sehr stolz ist. In den Sommerferien ist viel Leben im Pfarrhaus, aber wenn dann die Brüder, die „Lateiner“, wieder in Windsbach sind und die große Schwester im Marienstift in Regenburg ist, fühlt sie sich bisweilen einsam, bis es dann an ihr ist, dieses Stift zu besuchen, um den Schliff einer höheren Tochter zu erhalten mit Französisch, Englisch, deutscher Literatur, Rechnen, Singen, Turnen und Handarbeiten. In dieser Zeit findet sie auch eine gute Freundin, Marie Kern, und ist ihr viele Jahrzehnte freundschaftlich verbunden. In ihrem Abschlusszeugnis findet sich die Bemerkung, dass in dem Mädchen „der Geist des Widerstands und der Renitenz“ wohne, eine Bemerkung, auf die sie auch als Großmutter noch stolz war und die zeigt, dass sie wohl etwas mehr nachgedacht hat, als es Mädchen zu dieser Zeit erlaubt war.

Begegnung mit Wilhelm

Nach allgemeiner Ansicht ist die Ausbildung Magdas nach der Stiftszeit abgeschlossen, aber sie soll im Herbst 1900 noch einige Wochen bei den Großeltern verbringen, um bei ihrer unverheirateten Tante Französischstunden zu erhalten und in Bayreuth Klavierstunden. Außerdem soll ein Nähkurs ihre hausfraulichen Kenntnisse vervollkommnen. Im großelterlichen Pfarrershaushalt spielt „der Herr Vikar“ Wilhelm Dietzfelbinger eine wichtige Rolle, der für den alten Pfarrer quasi die Amtsgeschäfte tätigt. Er wird wie der Sohn des Hauses gehalten und verwöhnt. Außerdem ist es ein offenes Geheimnis, dass Magdas Tante für den Vikar schwärmt, wohingegen dieser nur Augen für die junge Magda hat und sich eine große Liebe zwischen ihnen anbahnt, obwohl er zwölf Jahre älter ist und Magda erst 17 Jahre zählt.

Nachdem Wilhelm nach dem zweiten theologischen Examen die Pfarrstelle in Ermershausen in Unterfranken bekommen hat, hält er im Jahr 1902 um ihre Hand an und die beiden heiraten im April 1903, kurz nach Magdas 20. Geburtstag. In einem Brief an ihre Freundin schreibt die junge Braut, dass es ihr oft recht bang ist, da sie sehr an ihrem Elternhaus hänge, dass aber doch alles in ihr jauchze.

Junge Ehe und Familie

Nach der Hochzeit gönnt sich das junge Paar einige Tage in Wiesbaden mit einer Schifffahrt auf dem Rhein und als Höhepunkt einen Opernbesuch in Frankfurt. Im Anschluss wird das Ehepaar in einem bekränzten Wagen von den Ermershausener Gemeindevertretern am Bahnsteig abgeholt und zum Pfarrhaus geleitet. Als der Männergesangsverein am Abend ein überraschendes Ständchen darbietet, kann sich die junge Magda ob der gefühlvollen Lieder das Lachen kaum verkneifen.

Es gibt einige Anekdoten aus ihrer ersten Hausfrauenzeit, so erwies sich der mehrpfündige Kalbsschlegel für das Ehepaar als Sonntagsbraten doch als etwas überdimensioniert. Ein Handwerksbursche bittet sie einmal, ob sie nicht die Mama fragen könnte, ob er einen Teller Suppe haben könnte – er hält sie für die Tochter des Hauses. Kurz darauf droht auch die Kirchenvisitation durch den Herrn Konsistorialrat, aber zum Glück eilt eine der Tanten zur Hilfe, damit das Mittagessen gelingt. Magda gilt nicht gerade als gute Hausfrau, auch wenn sie sich selbst „ganz tüchtig“ findet. Der Ehemann bemängelt ihren fehlenden Ordnungssinn und möchte ihr eine Haushaltshilfe an die Seite stellen. Dagegen sträubt sie sich zunächst, bis sich die erste Schwangerschaft einstellt und sie viel liegen muss.

Natürlich hat sie auch viel Besuch, besonders die Brüder besuchen ihre Schwester oft.

Fam. Dietzfelbinger vor dem Pfarrhaus in Burgfarrnbach, 1913
Fam. Dietzfelbinger vor dem Pfarrhaus in Burgfarrnbach, 1913

Im Mai 1904 wird der erste Sohn Ludwig geboren und zum Leidwesen der Eltern gedeiht er zunächst nicht gut und macht ihnen viele Sorgen, doch nach einem halben Jahr kräftigt sich die Gesundheit.

Im Elternhaus in Dietenhofen geht es hoch her, die meisten der Brüder sind Studenten und bringen ihre Freunde mit ins Haus. Einmal dürfen die beiden Schwestern bei einem Fest der Studentenvereinigung in Erlangen mitfeiern und die beiden jungen Frauen genießen das Fest in vollen Zügen mit unzähligen Bekannten bis morgens früh um 3 Uhr. Daheim hat der Ehemann derweil den Sohn ganz vorschriftsmäßig gewickelt und gebadet. Dazu Magdas Kommentar: „Ich finde immer, es ist gut, wenn Männer sich auch einmal mit häuslichen Dingen beschäftigen.“ Grundsätzlich ist sie der Meinung, dass die Männer sowieso das bessere Los gezogen haben, wenn sie hört, wo ihre Brüder überallhin reisen.

Als dann auch noch die ältere Schwester heiratet, sind die Brüder etwas entsetzt, wer denn nun die Mutter unterstützt – bisher hatten sie es sehr genossen, dass eine „Haustochter“ die unliebsamen Arbeiten erledigte.

Das junge Pfarrerehepaar – mittlerweile sind die kleine Elisabeth und der kleine Hermann dazugekommen – ziehen 1908 vom unterfränkischen Ermershausen ins mittelfränkische Kirchfarrnbach, zur Freude Magdas, die von dort in nur eineinhalb Stunden zu ihren Eltern nach Dietenhofen laufen kann.

Schicksalsschläge

Die Jahre1909/ 1910 folgen als eine der schwierigsten Jahre für Magda – bei ihrem erstgeborenen Sohn Ludwig wird ein Gehirntumor festgestellt und auch eine Operation in Erlangen bringt keine Besserung. Wochenlang muss der Fünfjährige im Krankenhaus bleiben. Die beiden jüngeren Geschwister kommen in großelterliche Obhut, so dass sich die Mutter um den geliebten Erstgeborenen kümmern kann, bis er im Februar 1910 nach schlimmen Schmerzen und Krampfanfällen in ihren Armen stirbt.

Die Dietzfelbingers bleiben bis 1924 in Burgfarrnbach und sechs weitere Kinder werden ihnen geschenkt. Höhepunkte im dörflichen Leben sind seltene Einkaufstouren nach Fürth oder Nürnberg oder auch die monatliche Kutschfahrt zu einer Filialkirche, wo ein Gottesdienst zu halten war. Das Pfarrhaus steht für die Gemeindeglieder offen, sonntäglicher Gottesdienst und Christenlehre sind fester Bestandteil im Leben der Kinder und sie genießen es, dass ihre Mutter eine begnadete Erzählerin ist.

In diese ländliche Idylle bricht der erste Weltkrieg ein und der Pfarrer muss bald in die Häuser gehen, um die Nachricht vom Verlust des Ehemannes oder Sohnes zu überbringen. Auch Magda wird schwer getroffen, zwei ihrer Brüder fallen innerhalb von zwei Tagen gleich im April 1915, ein dritter Bruder fällt ein Jahr später in Frankreich. Dem Krieg folgen Jahre des Hungers, der Not und der politischen Instabilität.

Trennung von den Kindern

Die Eltern Dietzfelbinger freuen sich, dass die beiden ältesten Kinder, Elisabeth und Herrmann, die Aufnahmeprüfung für die höhere Schule schaffen, was allerdings zur Folge hat, dass beide ins Internat müssen und schreckliches Heimweh haben. Als Hermann auch noch längere Zeit starke Kopfschmerzen hat, sind die Eltern alarmiert, weil sie sich an die Krankheit des ältesten Sohnes erinnert fühlen, was sich Gott sei Dank nicht bestätigt. Trost für beide Seiten sind die Briefe, die rege hin und her gehen und die Pakete, die dringend nötig sind, weil die Schüler oft hungrig sind und auch frieren, weshalb die Mutter für warme Kleidung sorgt.

Im Jahr 1922 planen die Eheleute den Besuch einer Parsifalaufführung in Bayreuth und anschließend zwei Wochen Urlaub in Berneck, obwohl Magda nicht genau weiß, ob sie das fertigbringen wird, da sie sich ohne Kinder „wie ein Ofen ohne Wärme, oder wie ein Bach ohne Wasser oder meinetwegen auch wie eine Kuh ohne Schwanz…“ vorkommt.

Umzug nach Ottensoos

Als auch die jüngeren Kinder größer werden, wird die Schulfrage immer dringender und es wird nach einer Pfarrstelle in der Nähe einer Stadt gesucht und die Wahl fällt auf Ottensoos. An der Pegnitzbrücke empfangen Gemeindeglieder und Schulkinder die neue Pfarrersfamilie und diese wird unter Glockengeläut mit dem Posaunenchor ins geschmückte Pfarrhaus geleitet. Es stellt sich heraus, dass ein Möbelwagen in Burgfarrnbach zurückgeblieben ist, leider der, in dem die Antrittspredigt verwahrt ist, so dass der Pfarrer am gleichen Tag noch einmal zurück nach Burgfarrnbach fahren muss.

Das große Pfarrhaus, die schöne St. Veitkirche, der Nutzgarten mit Laube und verwinkelten Nebengebäuden sind wie geschaffen für die große Familie. Der Pfarrer macht mit seiner Frau reihum Besuche in allen Häusern des Dorfes, auch bei den vielen jüdischen Familien. Die Leitung des Posaunenchores wird ihm angetragen, eine Aufgabe, die er mit zunehmender Begeisterung ausfüllt.

Die Kinder können mit dem Zug in die Schule fahren, die Söhne besuchen ein humanistisches Gymnasium und die Töchter das Mädchenrealgymnasium – in dieser Generation bekommen also auch die Mädchen eine abgeschlossene Ausbildung. In den Ferien ist das Haus bis unter das Dach gefüllt mit der jugendlichen Verwandtschaft, Vettern, Basen und auch Freunden.

Nachdem die Zeit des Windelwaschens vorbei ist, macht das Ehepaar jetzt jedes Jahr Urlaub in Österreich, Italien oder Jugoslawien. In der Gemeinde hat Magda die Leitung des „Jungfrauenvereins“, später „Mädchenvereins“ übernommen. Bibelarbeit, Gesang und Spiele bilden das Programm und Weihnachtsspiele, von Magda selbst verfasst, bilden Höhepunkte. Auch bei Gemeindefesten und Familientagen werden Magdas Reime immer bejubelt. Ihre dichterische Begabung zieht jedoch bald weitere Kreise. Der Sohn des Inhabers der Nürnberger „Kunstanstalt Schwager und Steinlein“ soll in Ottensoos seine Ferien verbringen und gleichzeitig Nachhilfe in Latein erhalten. Als sich Magda beim Vater für die Lebkuchen – natürlich in Versform – bedankt, die dieser als Dankeschön geschickt hatte, wird dieser bei den gelungenen Reimen hellhörig und eine Jahrzehnte dauernde Geschäftsbeziehung nimmt ihren Anfang.

Ein Kurier bringt ihr Bilder für ein Bilderbuch und sie dichtet dazu die Verse. Erstmals in ihrem Leben hält sie selbst verdientes Geld in Händen.

Kriegs- und Nachkriegszeit

Die unerquicklichen Jahre von 1933-1938 waren Thema im letzten Kirchenboten. Zu betonen ist, dass Magda ihren Mann in dieser Zeit maßgeblich unterstützte, es ihr allerdings schwerfiel, die Zeit in Ottensoos zu beenden, war sie doch jünger als ihr Mann und wäre gern weiter Pfarrfrau geblieben. Aber die Gründe für die Pensionierung überwogen und in Erlangen bot sich die Gelegenheit, in der Fichtestraße ein Haus zu bauen.

Das Wort Krieg war für Magda ein Schreckenswort und wurde bald bittere Realität. Fast alle Söhne waren im wehrfähigen Alter. Zwei werden sofort eingezogen, der dritte etwas später und der jüngste 1942. Der älteste wurde wegen eines Herzfehlers den Sanitätern zugewiesen und konnte später durch den Landeskirchenrat unabkömmlich gestellt werden. In Erlangen sind die Eltern in ständiger Sorge um ihre Söhne und Magda schickt unablässig Feldpostpäckchen und – briefe. Im Dezember erhalten sie die schlimme Nachricht vom Tod ihres Sohnes Willy, der mit einem Schiff auf der Fahrt nach Kreta untergegangen ist. Der jüngste Sohn Christian wird 1945 durch einen Lungenschuss schwer verletzt und ist lange im Lazarett. Mehr oder weniger zufällig trifft er seinen Bruder Karl und beide schafften es, sich in den letzten Kriegstagen über die Demarkationslinie zu flüchten, so dass sie in amerikanische statt russische Kriegsgefangenschaft kamen. Schon bald wurden sie entlassen, so dass die Eltern sie glücklich in die Arme schließen konnten und beide ihr Theologiestudium in Erlangen wieder aufnehmen konnten. Ein Jahr später kehrte auch Ernst aus englischer Kriegsgefangenschaft nachhause zurück.

Die Nachkriegsjahre waren natürlich durch große Entbehrungen gekennzeichnet und Magda – inzwischen Großmutter – bedauert, dass sie ihre Enkelkinder nicht mit Bonbons und Schokolade verwöhnen kann, sondern nur eine dünne Scheibe Brot übrig hat, auf die sie etwas Milch träufelt und ein wenig Zucker darüber streut.

Im Mai 1946 wird das Haus in der Fichtestraße von den Amerikanern beschlagnahmt und die Familie muss jeden Tag mit dem Räumungsbefehl rechnen, aber sie können am 5.Juli noch den 75. Geburtstag Wilhelms in der Fichtestraße feiern. Der Räumungsbefehl kommt zwei Tage später, es kann nur wenig mitgenommen werden und dem Ehepaar wird eine kleine Mietwohnung zugewiesen. Doch angesichts der Tatsache, dass viele Menschen ausgebombt wurden und sie drei ihrer Söhne wohlbehalten wieder haben, liegt es ihnen fern zu jammern, da sie doch ein Dach über dem Kopf haben. Zudem ist die kleine Wohnung leichter zu heizen, so dass sie gut über den Winter kommen.

Elf Jahre dauert die Ausquartierung. Wilhelms Sehkraft ist eingeschränkt, er besucht Vorlesungen, Konzerte und die Orgelwoche. Das Jahr 1950 bringt drei Hochzeiten in der Familie und in den drei folgenden Jahren jeweils drei Enkelkinder. Die Tauffeste sind Höhepunkte und werden natürlich von Versen der Großmutter umrahmt. Bei der größer werdenden Familie kommt die Großmutter mit dem Briefe schreiben gar nicht mehr nach und so wird ein Rundbrief eingerichtet, ein Heft mit einem Eröffnungsbeitrag der Großeltern, welches dann reihum weitergeschickt wird und alle Familien ihre Neuigkeiten hineinschreiben können.

Bilderbuchautorin und eine Reise

Nach den schweren Kriegszerstörungen hat auch die Kunstanstalt Schwager und Söhne wieder ihren Betrieb aufgenommen und Magda ist wiederum eine begehrte Texterin. Um die 25 Bücher versieht sie pro Jahr mit Versen. Es sind keine Kunstbilderbücher, sondern Bücher auf Karton oder für das erste Lesealter für den Massengebrauch. Ihr Name wird auf den Büchern nur selten erwähnt.

Märchen und Landleben sind Themen, mit denen sich Magda auskennt, doch plötzlich sind Indianerbücher angesagt oder die Bilder schildern ein Fußballspiel in all seinen Phasen. Doch ein Lexikon oder ein fußballbegeisterter Enkel bringen sie auf den Stand der Dinge, so dass sie auch Verse zu ungewohnten Themen dichten kann. Die Bilderbücher sind weit verbreitet und wenn Magda in der Stadt beim Einkaufen ist, kontrolliert sie in der Spielzeugabteilung, ob ihre Bücher auch verkauft werden.

Kinderbuch von Magda Dietzfelbinger
Kinderbuch von Magda Dietzfelbinger

Die wirtschaftliche Lage in den 50er Jahren verbessert sich zusehends und im Sommer 54 sieht Magda im Schaufenster eines Reisebüros eine Busreise durch die Schweiz ausgeschrieben. Der Ehemann kann nach einem leichten Schlafanfall nicht mitreisen und wird von der Tochter versorgt. Er gönnt es jedoch seiner Frau, sich diesen Traum von ihrem – erdichteten – Geld zu erfüllen. Am Abend vor der Reise erinnert man sich, dass ein Pass vonnöten sein wird, aber auf diesem prangt noch das Hakenkreuz und ist folglich ungültig. Tochter Elsbeth, von Beruf Sozialarbeiterin, fährt mit ihrer Mutter auf die Polizeiwache, und die diensthabenden Polizisten erweisen sich als „dein Freund und Helfer“ und fahren die aufgeregte Seniorin zur Wohnung eines Beamten vom Einwohnermeldeamt. Auch ihn rührt der Wunsch der alten Dame und er steigt ein, fährt ins Büro, wo die Großmutter einen nagelneuen Pass erhält und so am nächsten Tag glücklich den Reisebus besteigen kann. Die begleitende Schwiegertochter weiß zu berichten, dass bisweilen manche Reiseteilnehmer vor Erschöpfung ein Nickerchen machten, nicht so Magda, die immer kerzengerade aufgerichtet aus dem Fenster sah, um ja nichts zu verpassen, erinnerten sie doch die Berge an ihr einstiges Lieblingsbuch „Heidi“.

Stolze Mutter

Im Familienrundbrief gibt es im März 1955 eine wichtige Nachricht zu vermelden: Sohn Hermann wird zum bayerischen Landesbischof gewählt. „Als ‚Landesbischofseltern‘ werden wir nun mit vielen guten Wünschen überschüttet in sehr verschiedener Form: „Da kann a Vatter scho sei Freud ham an so am Bubn!“, meinte heute die Metzgersfrau, die mich gefragt hatte, ob der neue Herr Landesbischof wohl ein Anverwandter von uns sei.

Bei der Einführung in der Lorenzkirche sind die Eltern natürlich Ehrengäste, und Magda unterhält sich beim Essen angeregt mit Bischof Dibelius, neben dem sie sitzt.

1957 hat Wilhelm eine lange und schmerzhafte Krankheit und seine Frau ist im Krankenhaus Tag und Nacht bei ihm. Zur selben Zeit kommt die Nachricht, dass das Haus in der Fichtestraße wieder freigegeben ist, so dass Wilhelm zuletzt in seinem Haus gepflegt werden konnte, wo er am 2. Mai verstirbt.

Witwenschaft und Alter

Magda Dietzfelbinger mit ihrem Sohn, Landesbischof Hermann Dietzfelbinger, 1964
Magda Dietzfelbinger mit ihrem Sohn, Landesbischof Hermann Dietzfelbinger, 1964

Natürlich trägt Magda nach 54 Ehejahren schwer an dem Verlust, auch wenn ihre Tochter Elsbeth bei ihr lebt und sie immer wieder viele Wochen in den Familien ihrer Kinder verbringt. Bei jedem Besuch dort bringt sie neue Bilderbücher mit, zu denen sie getextet hat.

An ihrem 80. Geburtstag versammeln sich ihre noch lebenden Geschwister, ihre acht Kinder mit Ehepartnern und 32 Enkelkinder. Bei der Geburt ihrer Urenkelin Irene im Jahr 1968 – da ist sie 85 Jahre alt – blitzt immer noch ihr Witz bei dem gereimten Glückwunsch durch: „Gern haben wir, das sei betont, erlebt den stolzen Flug zum Mond. Doch ist für uns von höherem Werte Irenchens Ankunft auf der Erde!“

Erst in ihrem letzten Lebensjahr leidet sie an Gedächtnisschwund und verstummt immer mehr. Mit Hilfe einer benachbarten Ärztin gelingt es Tochter Elsbeth, ihre Mutter daheim zu pflegen, auch als ein Sauerstoffapparat nötig wird. Alle ihre Kinder und viele Enkel besuchen sie noch einmal, bevor sie am 7. März 1972 verstirbt.

Hunderte von Menschen geben Magda Dietzfelbinger das letzte Geleit und der Posaunenchor aus Ottensoos spielt mehrere Choräle an ihrem Grab.

Die Enkeltochter resümiert, dass sie Ehrfurcht angesichts dieses Frauenlebens empfindet und sie betont, dass keineswegs alles Idylle und heile Welt gewesen sei. Besonders die oft unbefriedigende Situation der Pfarrerstöchter auf dem Land, vor allem derer, die nicht heirateten und kein eigenes Leben führen konnten, war Magda sehr bewusst. Aber trotz der im Zeugnis belegten „Renitenz“ begehrte sie nicht auf, sondern begnügte sich mit der häufigen Feststellung, dass es die Männer auf der Welt einfach besser hätten. Mit der Bilderbuchproduktion schuf sie sich eine kleine Nische für ihr herausragendes sprachliches Talent und ihre Kreativität.

Bildnachweis: Ausstellungsbanner der Reihe „fromm – politisch – unbequem“ über starke Frauen in der Kirche