Schwerpunkt

Pilgern auf dem Jakobsweg
Interview mit Jürgen Lassauer – einem langjährigen Jakobsweg-Pilger aus Ottensoos
Was hat dich dazu bewegt, dich auf den Jakobsweg zu machen?
Mein Arbeitskollege, der sehr christlich geprägt war, sprach darüber, dass er pilgern wolle, worüber ich zunächst gelacht habe. Aber irgendwie hat mich der Gedanke nicht losgelassen und ich wollte es einfach mal ausprobieren. Tatsächlich habe ich dann früher mit dem Pilgern begonnen als er.
Welche Etappe war deine erste und wie waren deine ersten Erfahrungen?
Meine erste Etappe war von Nürnberg/ Stein nach Rothenburg. Damals war ich noch im Arbeitsprozess und konnte nur drei Tage am Stück pilgern. Meine erste Übernachtung war bei einem Ehepaar in Leutershausen. Am Morgen verabschiedete mich die Frau mit einem Reisesegen. Das war für mich sehr eindrücklich und wir blieben noch lange in schriftlichem Kontakt z.B. mit einem Weihnachtsgruß. Mir wurde auch bewusst, wie wenig Kilometer man in einer Stunde schafft. Man muss sich auch konzentrieren, nichts zu vergessen z.B. den Pilgerstab, weil man sonst zurücklaufen muss.
Wie viele Etappen bist du gegangen, in welchem Zeitrahmen?
(Sieht auf den Einkerbungen seines Pilgerstabes nach) 2010 bis 2015 war ich immer drei Tage unterwegs, weil ich noch gearbeitet habe.
Ab 2016 war ich dann immer 2-3 Wochen unterwegs, je nach Laune. Mittlerweile hatte ich auch schon die französische Grenze erreicht und da wäre es von der Anreise her nicht mehr sinnvoll gewesen so kurz zu pilgern. Seitdem war ich jedes Jahr unterwegs.
Was hast du im Lauf der Zeit dazugelernt?
Wichtig ist es möglichst wenig mitzunehmen, mit Wasser sollten es nicht mehr als 8 kg sein, dann macht es auch Spaß.Ich habe durch das Pilgern eine positive Einstellung zum Leben gewonnen nach dem Motto: „Alles wird gut.“ Obwohl ich ganz wenig voraus buche und ich auch schon schwierige Situationen erlebt habe, ist am Ende das Tages immer alles gut geworden.
Welche Etappe war für dich am eindrücklichsten und warum?
Als ich in der Auvergne im Aubrac-Gebirge war, erlebte ich eine fast menschenleere Landschaft mit Osterglockenfeldern und einer traumhaften Natur. Da fühlte ich mich der Schöpfung ganz besonders nah!
An welches Erlebnis erinnerst du dich besonders gerne?
Vieles Schöne habe ich im letzten Jahr auf der zwischenmenschlichen Ebene im Baskenland erlebt. Einen Pilgerkollegen habe ich durch Zufall wieder getroffen. Wir hatten ein tolles Quartier und er spielte frühmorgens bei Sonnenaufgang vom Handy „Morning has broken“, das fand ich nicht so passend. Aber es wurde viel besser, als wir selbst sangen. An diesem Tag schloss sich uns eine Frau aus Erfurt an, die im Kirchenchor singt. Wir kamen an eine Kirche, die um einen großen Fels herumgebaut ist, der Ort allein ist schon kultisch. Ich habe immer ein Liedblatt aus Ottensoos dabei, wobei ich eigentlich immer alleine singe, weil ich nur ein Brummer bin. Aber da haben wir zu dritt „Morgenlicht leuchtet“ gesungen und das war für mich so unglaublich bewegend.Ich habe während des Pilgerns auch so oft Hilfe von oben bekommen!
Einmal saß ich bei einem kühlen Radler in einem Ort, als die Dorfgendarmerie aus dem vorherigen Ort mit Tatütata gefahren kam und mich fragte ob ich Pilger sei und das meine Papiere seien. Die hatte ich im dortigen Laden liegenlassen und die beiden Gendarmen hatten sich gleich auf den Weg gemacht. Zwei Stunden später hatte ich eine Mitfahrgelegenheit Richtung Heimat vereinbart, also wäre mir nicht allzu viel Zeit zum Suchen geblieben.
Welches Erlebnis war das Schwierigste?
Einmal war es schon 16 Uhr abends und ich war schon sehr geschafft. Ich wusste, ich hatte noch fünf Kilometer zu laufen und wollte durch den Wald abkürzen. Der war sehr dicht und ich bahnte mir eine Schneise, bis ich auf einen Weg kam, den einzigen weit und breit, dem ich noch mal zwei Stunden folgte. Leider in die falsche Richtung. Da kam eine junge Frau auf dem Mountainbike – für mich wie ein Engel – und ich konnte mich trotz rudimentärer Sprachkenntnisse verständlich machen. Sie veranlasste dann, dass mich die Nachbarin meiner Zimmerwirtin für die kommende Nacht abholte.
Wie waren deine Kontakte zu anderen Pilger/innen?
Die waren durchwegs positiv und ich habe viele Kontakte geschlossen. Bei den Pilgern herrscht ein Miteinander wie in einer großen Familie. Ich gehe gern auf Menschen zu und spreche sie sehr intuitiv an. Ich glaube sie merken meine Offenheit und dann sind sie auch offen zu mir. Auch zu vielen Einheimischen hatte ich trotz der Sprachbarriere guten Kontakt. Wenn man durchnässt durch Starkregen ankommt und aus dem Haus heraus tönt: „Komm rein, Jürgen, hier gibt‘s warmen Glühwein“ – dann geht einem doch das Herz auf.
Bist du immer in Pilgerunterkünften untergekommen und wie muss man sich diese vorstellen?
In Deutschland sind es Gasthöfe, aber in Frankreich sind es nur Unterkünfte auf privater Basis, auf Bauernhöfen oder bei Rentnern, die gerne Menschen aufnehmen. Selten war ich auch in Klöstern, wo es immer besonders schön war wegen der spirituellen Kontakte und den Gottesdiensten.Es gibt ein kleines Büchlein mit Adressen und vor dem Abend kann man dort anrufen. Wenn es nicht klappt, wird einem weitergeholfen. In einem Ort bei der Touristinfo bekam ich den Tipp, dass es im Nachbarort ein verfallenes Pfarrhaus gibt, wo ich dann übernachten konnte und es kam auch jemand, der mir aufgesperrt hat. In Frankreich sind die Kosten gering, für 15€ bekommt man eine Übernachtung und für noch mal 15€ ein leckeres Drei-Gänge-Menü, einschließlich freudiger Gesänge und einem Abendgebet. An Feiertagen wurde ich auch in die Familie samt Verwandtschaft aufgenommen. In Spanien sind die Unterkünfte alle ehrenamtlich auf Spendenbasis.
Hat sich das Pilgern im Lauf der Jahre verändert?
Das Smartphone hat auch beim Pilgern Einzug gehalten. Das ist einerseits positiv, weil man keine schweren Karten mehr mitnehmen muss. Es gibt auch eine Santiago-App, die sehr gut funktioniert. Hier kann man Entfernungen und Höhenunterschiede einsehen, allerdings geht dadurch auch ein Stückweit das Abenteuer verloren. Immer wieder buchen Pilger ein Quartier und kommen dann doch nicht, weil sie nicht so weit oder weiter gekommen sind. Da sie nicht immer absagen, ist das für die Herbergseltern ärgerlich, weil sie vielleicht einem andern Pilger abgesagt haben.
Was bedeutete dir das Alleinsein auf dem Weg?
Ich komme da wunderbar zu mir. Keiner zupft mich am Ärmel und will etwas von mir. Ich kann über vieles nachdenken, was mir daheim nicht so gelingt. Ich erlebe die Natur und bekomme ständig neue Eindrücke. Angst kann ich überwinden, die nämlich schon da ist, daheim ist doch alles viel sicherer.
Welche Pilgerziele hast du für die Zukunft?
Vom 01.-18.September 2025 werde ich in Spanien meine vorletzte Etappe laufen und im nächsten Jahr hoffe ich auf den Abschluss in Santiago de Compostela..Ich habe auch schon ein neues Ziel vor Augen: den alten Kammweg nach Osten über das Vogtland, Erzgebirge und Elbsandsteingebirge bis zur Schneekoppe an der polnisch-tschechischen Grenze. Das sind etwa 850 km
Welche Tipps würdest du jemandem geben, der sich auf den Weg machen will?
Man sollte nicht wie ich gleich versuchen mit 30 bis 40 km anzufangen, sondern sich langsam herantasten, damit es keine Blasen gibt. Bestimmt ist es auch gut, in Deutschland anzufangen und die Gasthöfe zu reservieren. Natürlich ist auch wenig Gepäck wichtig.Es ist gut offen zu sein für die wunderschöne Natur aber auch dafür, andere Mentalitäten kennenzulernen. Dass es landestypisch oft lockerer zugeht als bei uns, kam mir persönlich sehr entgegen.
Und wie ist es, wenn man wieder heimkommt?
Wenn man drei Wochen nur zu Fuß unterwegs ist, dann ist mir alles immer erst zu schnell, v.a. das Autofahren, aber ich bin durchaus auch dankbar, dass es wieder so einfach ist, z.B. etwas einzukaufen oder so bequem nach Reichenschwand zu kommen. Die Dankbarkeit ist nach dem Pilgern sehr groß!
Wir bedanken uns für diese großartigen Eindrücke aus erster Hand!
Bildnachweis: Lassauer
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